11 Als aber Kephas nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, weil er durch sein Verhalten verurteilt war.
        Das Gesetz lastet auch heutzutageschwer auf uns. Deswegen haben wir uns kleine Tricks angeeignet, um uns etwas Erleichterung zu verschaffen – und um das Problem nicht frontal angehen zu müssen. Einer dieser Tricks ist „das muß jeder für sich selbst wissen“. Damit ist aber leider nicht gemeint, daß jeder letztlich tun kann, was er will (was völlig richtig ist) – sondern daß wir nichts mehr beurteilen dürfen. Das beruht auf der Illusion, wir könnten jemals darauf verzichten, irgendetwas zu bewerten (schon der Satz „das will ich auch gar nicht bewerten“ ist aber bereits eine Bewertung). Denn Beurteilen oder Bewerten sei immer auch Verurteilen im Sinne von Verdammen und Abwerten und Niedermachen.
      Wir werden sehen, daß Paulus das sowohl anders sieht als auch anders handelt. Und am Ende ist Kephas bzw. Petrus immer noch Apostel und ein führendes Mitglied der frühen Gemeinde. Es geht um sein falsches Verhalten – nicht um das Niedermachen seiner Person. Und wenn wir das ähnlich sehen können, berauben wir uns nicht länger eines wichtigen Mittels, unsere Freiheit in Jesus zu verteidigen. Wir haben es nicht nötig, uns aller Wertungen zu enthalten (was sowieso eine Illusion ist, siehe oben), damit ja niemand sich als Person verurteilt fühlt – wir können klar trennen zwischen Person und Verhalten. Wäre aber auch schön, wenn wir das wirklich so meinen und das für den Betroffenen auch spürbar ist.
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12 Denn bevor einige von Jakobus kamen, hatte er mit denen aus den Nationen gegessen; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, da er sich vor denen aus der Beschneidung fürchtete.
              Die Apostel, die die Gemeinde in Jerusalem leiteten (u.a. eben Jakobus, der gleichnamige Briefschreiber), duldeten offensichtlich Gesetzlichkeit und (christliche) Gesetzlehrer in ihren Reihen. Und die kamen auch in die Gemeinde in Antiochia, zur der nicht nur Juden zählten, die gläubig geworden waren, sondern auch Nicht-Juden, die vom jüdischen Gesetz und von jüdischen Traditionen nichts wußten.
              „Action speaks louder than words“ – Handlungen sprechen lauter als Worte: als Petrus mit den Heidenchristen aß, bekamen diese eine klare Botschaft: Petrus hat Gemeinschaft mit uns. Also sind wir ok. Wir gehören dazu. Es reicht, daß wir an Jesus glauben. Als er das nicht mehr tat, war die Botschaft auch klar: Glaube an Jesus allein reicht nicht. Jesus plus XY – das reicht (vielleicht).
     Petrus hatte anscheinend immer noch die Charakterschwäche, die wohl auch seinen Verrat an Jesus mitverursacht hatte: er hatte Angst vor der Meinung anderer Leute.
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13 Und mit ihm heuchelten auch die übrigen Juden, so dass selbst Barnabas durch ihre Heuchelei mit fortgerissen wurde.
           Das gesetzliche Getue ist ansteckend. Wir wollen dazugehören. Dann kommen Leute, die instinktiv als Führer akzeptiert werden und setzen Standards, die man erfüllen muß, um dazu zu gehören. Dem kann man sich nicht durch duldendes Schweigen entziehen. Dazu braucht es eine Konfrontation.
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14 Als ich aber sah, dass sie nicht den geraden Weg nach der Wahrheit des Evangeliums wandelten, sprach ich zu Kephas vor allen: Wenn du, der du ein Jude bist, wie die Nationen lebst und nicht wie die Juden, wie zwingst du denn die Nationen, jüdisch zu leben?
        Die Konfrontation von Petrus findet vor allen statt. Denn sein Verhalten betrifft auch alle. Und besonders die, die mit ihm „heucheln“.
         Führende Persönlichkeiten – selbst wenn es Apostel sind – müssen nicht immer richtig liegen. Maßstab ist nie „Der Pastor hat gesagt …“ oder „Der Apostel hat gesagt …“ oder „Autor XY schreibt …“ – wir müssen selbst prüfen, ob es so ist.
        Petrus hat selbst wie einer aus den Nationen gelebt, also ohne jüdische Gesetz und jüdische Regeln. Er wußte, was Freiheit vom Gesetz ist und hat sie anderen vorgelebt. Nun wird er schwankend und wendet sich von dieser Freiheit ab.
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15 Wir sind von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nationen,
          Was soll das nun? Geht es um besser oder schlechter? Paulus meint, daß die Juden das Gesetz kennen. Das macht auch den nächsten Vers (16) verständlich. Denn nur die Juden können wissen, was es heißt, vom Gesetz befreit zu werden. Sie haben den „Vorzug“, daß für sie das Gesetz explizit gilt. Sie können benennen, woher der Druck kommt, unter dem sie stehen. Einem Nicht-Juden bleibt dieser Druck unverständlich. Er weiß nicht, was ihn da genau antreibt.
Und in diesem Vers liegt eine Demütigung für seine gesetztreuen Zuhörer in den galatischen Gemeinden: viele von ihnen werden niemals „von Natur Juden und nicht Sünder aus den Nationen“ sein – nicht durch noch so viel Gesetzestreue. Das ist die „Frucht“ des Gesetzes: „du genügst nicht. Du bist nur ein Sünder aus den Nationen. Höre, was das Gesetz dir sagt.“
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       In Vers 16 liefert Paulus die Begründung für seine Konfrontation mit Petrus alias Kephas und zeigt, worin das tieferliegende Problem liegt.
16 aber da wir wissen, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Christus Jesus, haben wir auch an Christus Jesus geglaubt, damit wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt werden und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerechtfertigt wird.
         Noch klarer geht es eigentlich nicht: das Halten des Gesetzes bringt keine Rechtfertigung. Und wer trotzdem versucht, das Gesetz zu halten, wird erleben, daß er zwangsläufig auch versucht,  sich dadurch zu rechtfertigen. Die Wirkung des Gesetzes auf einen Gläubigen ist verheerend – das kann man nicht klar genug sagen.
        Rechtfertigung ist ein Geschenk. Was soll es auch sonst sein? Und unsere innere Veränderung ist auch ein Geschenk, ein Wirken des Heiligen Geistes in uns – und nichts, was mit dem Halten des Gesetzes zu tun hätte. Im Gegenteil: wer seine Veränderung verzögern und blockieren, der soll ruhig das Gesetz halten.
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17 Wenn aber auch wir selbst, die wir in Christus gerechtfertigt zu werden suchen, als Sünder befunden wurden – ist dann also Christus ein Diener der Sünde? Auf keinen Fall.
18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, so stelle ich mich selbst als Übertreter hin.
       Das Gesetz macht mich zum Übertreter, zum Sünder. Wenn es weiterhin für uns gilt, sind wir alle Sünder im Sinne des Gesetzes. Deswegen ist es auch letztlich kein Kavaliersdelikt, wenn jemand davon redet, wir seien „nur gerechtfertigte Sünder“. Diese Doppelnatur gibt es nicht. Wenn es sie gäbe – so Vers 17 – dann wäre Christus „ein Diener der Sünde“. Ist er aber nicht. Er ist ein Diener der Heiligen, der Gerechtfertigten und Gerechten, der Geliebten und Auserwählten (also von uns, die wir ihn kennen).
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19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe; ich bin mit Christus gekreuzigt,
                 Eine Wirkung dessen, daß wir mit Christus gekreuzigt worden sind, ist die, daß wir dem Gesetz gestorben sind. Wäre das nicht so, konnten wir nicht aus und für Gott leben. Was ist dann wohl die Wirkung, wenn Christen wieder unter das Gesetz gebracht werden oder sich selbst darunter stellen?:  Ihr seid von Christus abgetrennt, die ihr im Gesetz gerechtfertigt werden wollt; ihr seid aus der Gnade gefallen (Galater 5,4).
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20 und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt im Fleisch lebe, lebe ich im Glauben, und zwar im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.
            Dieser Vers wird leider oft mißbraucht, um zu zeigen, unser ICH sei das Problem. Aber das ICH gibt es vorher und nachher: jetzt „lebe ich im Glauben“. Es geht nicht um ein Problem mit unserem Person-Sein, mit unserem Ich – sondern um ein Problem, woraus wir als Menschen leben.
           Und unser Glaube richtet sich auf den, der uns liebt und sich für uns hingegeben hat – und nicht auf einen Jesus, der tausend Erwartungen an uns hat.
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21 Ich mache die Gnade Gottes nicht ungültig / oder: ich verwerfe die Gnade Gottes nicht; denn wenn Gerechtigkeit durch Gesetz kommt, dann ist Christus umsonst gestorben.

Eben: wozu hätte Jesus sterben müssen, wenn wir uns alle doch wieder ans Gesetz halten, um vor uns selbst und Gott und den anderen gut dazustehen und ok zu sein. DAMIT machen wir die Gnade ungültig oder verwerfen sie – nicht durch das Lehren der Gnade OHNE Gültigkeit des Gesetzes.

Unser Reden von „im Mittelpunkt muß das Kreuz stehen!“ oder „nur das Kreuz allein!“ wird zur (ungewollten) Heuchelei, wenn wir weiter die Gültigkeit des Gesetzes für den Gläubigen leeren. Das ist ein „Kreuz“, das uns nicht die Gnade bringt und Leben – sondern ein Pseudo-Kreuz, durch das wir unter Gesetz kommen und im Tod bleiben.

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Anmerkungen, Ergänzungen, Fragen, Kommentare wie immer willkommen!

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